
24. Philosophicum Lech
Als ob!
Die Kraft der Fiktion
Sonntag, 26. September 2021 um 10.30 Uhr
Illussion, Phantasma, Fake? Liebe in künstlichen Welten
Statement zum Vortrag
Zu begehren ist köstlich und schmerzlich zugleich. Es ist köstlich, weil es uns aus der Trägheit unserer Existenz erhebt und die Grenzen unseres Selbst auf etwas anderes hin erweitert. Schmerzlich aber ist es, weil sich das transgressive Moment des Begehrens, von dem wir dachten, dass es real sei, allzu schnell als illusionär erweist. Statt nun aber die Illusion als Täuschung und bloß scheinhafte Wirklichkeit zu verwerfen und sich dem Realitätsprinzip zu unterwerfen, halten wir, mehr an ihr hängend als über sie verfügend, an der Illusion fest. Was Freud in Das Unbehagen der Kultur (1930) über Kunst und Religion sagt, gilt von daher im besonderen Maße für das Begehren: „die Befriedigung wird aus der Illusion gewonnen, die man als solche erkennt, ohne sich durch deren Abweichung von der Wirklichkeit im Genuss stören zu lassen. Das Gebiet, aus dem diese Illusionen stammen, ist das des Phantasielebens“. In meinem Vortrag „Illusion, Phantasma, Fake? Liebe in künstlichen Welten“ möchte ich diskutieren, inwiefern Beziehungen zwischen Menschen und humanoiden Robotern oder anderen künstlichen Figuren als schmerzfrei und deshalb kalt im Sinne von Eva Illouz Theorie der entemotionalisierten Partnerwahl auf Online-Plattformen (Cold Intimacies, 2007) zu bestimmen sind. Oder ob nicht gerade die Partnerschaft im Modus des „Als-ob“ auf ein Beziehungsmodell verweist, das sich dem vermeintlich Faktischen entzieht und als produktive Kraft der Veränderung wirkt.
Univ. Prof. Dr. Sophie Wennerscheid
Referentin
Zur Person
Sophie Wennerscheid, geb. 1973, ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin mit einem besonderen Interesse für Literatur, Film und Kunst aus Skandinavien. Sie hat in Hildesheim, Göttingen und Berlin studiert und dort 2006 über den dänischen Philosophen Søren Kierkegaard promoviert. Über Forschungsaufenthalte in Lund, Uppsala und Freiburg ging es 2008 als Juniorprofessorin an das Institut für Skandinavistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2013 bekam sie einen Ruf als Professorin für Schwedische Literatur an die Universität Gent in Belgien. Seit 2019 ist sie Professorin am Institut für Nordische Studien und Sprachwissenschaft an der Universität Kopenhagen in Dänemark.
Durch ihre Publikationen zieht sich als roter Faden die Frage nach der Kraft des Begehrens und den damit verbundenen Aufbrüchen und Verwerfungen. In ihrem Buch Das Begehren nach der Wunde. Religion und Erotik im Schreiben Kierkegaards (Matthes & Seitz 2008) ist sie den theologischen Ursprüngen der Dialektik von Angst und Begehren nachgegangen und hat sich dann in ihrer Arbeit ‚Close your eyes‘. Phantasma, Macht und Dunkelheit in der skandinavischen Literatur (Fink, 2014) mit der phantasmatischen Dimension des Kraftbegriffs in der skandinavischen Moderne beschäftigt. Der Frage, zu welchen neuen Formen von Begehren es unter den Bedingungen des Technologischen kommt, widmet sie sich in ihrer jüngsten Buchpublikation: Sex machina. Zur Zukunft des Begehrens (Matthes & Seitz 2019). In zahlreichen Aufsätzen ist sie diesem Thema seitdem weiter gefolgt und hat dabei insbesondere die „Literatur im digitalen Zeitalter“ (2019), „Warme und kalte Beziehungen im Netzwerk des Begehrens“ (2020) und „Die unheimlichen Kräfte der Natur in ‚spekulativen Seinserzählungen“ (2021) in den Blick genommen.
Neben ihrer akademischen Tätigkeit arbeitet Sophie Wennerscheid außerdem im Bereich der Literaturvermittlung. Für die Süddeutsche Zeitung schreibt sie Kritiken über skandinavische Literatur, für die dänische Tageszeitung Information stellt sie Literatur aus dem deutschsprachigen Raum vor.