
25. Philosophicum Lech
Der Hass
Anatomie eines elementaren Gefühls
Freitag, 23. September 2022 um 09.30 Uhr
Feindselige Gefühle. Die dunkle Seite des Geistes
Statement zum Vortrag
Hass, Ressentiment und Verachtung – dies sind typische Beispiele für feindselige Gefühle. Wenn man den Bereich der relevanten Phänomene weiter fasst, lassen sich auch Ärger, Ekel, Empörung, Neid, Verachtung, Wut und Zorn mit in den Kreis dieser Regungen aufnehmen. Aufgrund ihres aversiven Charakters tragen sie zu einer Zersetzung sozialer Gefüge bei. So kann es nicht überraschen, dass feindselige Gefühle, insbesondere der Hass, anlässlich erstarkender Nationalismen in allen Teilen der Welt, anlässlich eines islamophoben Rechsterrorismus, der flankiert wird von der identitären Rhetorik rechtsnationaler Kräfte, die inzwischen europaweit auch in die Parlamente Einzug gehalten hat, vermehrt auch politisch ernst genommen und diskutiert wird. Was feindselige Gefühle sind und wie sie funktionieren, gilt es freilich erst einmal theoretisch auf den Begriff zu bringen, bevor Rezepte für den Umgang mit ihnen aufgestellt werden können. Feindselige Gefühle zu verurteilen, fällt nicht schwer, sie zu verstehen ist allerdings nicht immer leicht. Dies gilt insbesondere für den Hass, der häufig auf offene Weise mit Gewalt verbunden ist. In einer normativen Perspektive wird in der Regel abgelehnt, gelegentlich auch von denjenigen, die dieses Gefühl haben. Deshalb ist er anfällig für vielfältige Rationalisierungen und Uminterpretationen. Der Vortrag präsentiert eine kurze Skizze zur Philosophie der Gefühle im Allgemeinen und antwortet auf die Frage, was Gefühle sind. Auf dieser Grundlage werden insbesondere Hass, Ressentiment und Verachtung einer eingehenden Analyse unterzogen und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Um den Hass zu verstehen, ist sein Verhältnis zu anderen feindseligen Gefühlen in Betracht zu ziehen. Schließlich geht es um die Frage, wie mit aggressiven Affekten umzugehen ist.
Univ. Prof. Dr. Christoph Demmerling
Referent
Zur Person
Christoph Demmerling ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie mit dem Schwerpunkt Theoretische Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Themen der Sprachphilosophie, der Philosophie des Geistes, insbesondere der Philosophie der Gefühle sowie der Geschichte der Philosophie im 20. Jahrhundert. Demmerling studierte Philosophie, Neuere deutsche Literatur und Theoretische Linguistik an der Universität Konstanz, wo er 1992 im Fach Philosophie promovierte. Danach hat er mehrere Jahre an der Technischen Universität Dresden gearbeitet. Die Habilitation erfolgte dort 1998. Nach verschiedenen Vertretungprofessuren, u.a. in Berlin, Frankfurt am Main und Leipzig, erhielt Demmerling im Jahr 2008 einen Ruf an die Philipps-Universität Marburg. 2015 wechselte er nach Jena. Christoph Demmerling ist Autor mehrerer Monographien und zahlreicher Aufsätze zu Themen der kritischen Theorie, Phänomenologie, Hermeneutik und analytischen Philosophie sowie Mitherausgeber der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“. Er war mehrere Jahre lang Mitglied des Fachkollegiums Philosophie der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Derzeit ist er Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Jena.
Er ist Autor der Bücher Sprache und Verdinglichung. Wittgenstein, Adorno und das Projekt einer kritischen Theorie (Frankfurt, 1994), Koautor von Grundprobleme der analytischen Sprachphilosophie. Von Frege zu Dummett (Paderborn 1998; gemeinsam mit Thomas Blume), Autor von Sinn, Bedeutung, Verstehen. Untersuchungen zu Sprachphilosophie und Hermeneutik (Paderborn 2002), Koautor von Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn (Stuttgart/Weimar 2007; gemeinsam mit Hilge Landweer). Zuletzt hat er das Buch Concepts in Thought, Action, and Emotion mitherausgegeben (gemeinsam mit Dirk Schröder) (London/New York 2021).
Monographien (Autor)
- Sprache und Verdinglichung. Wittgenstein, Adorno und das Projekt einer kritischen Theorie, Frankfurt a. M. 1994, 178 Seiten (Suhrkamp).
- Grundprobleme der analytischen Sprachphilosophie. Von Frege zu Dummett. (Mitautor: Thomas Blume); Paderborn 1998, 307 Seiten (UTB/Schöningh).
- Sinn, Bedeutung, Verstehen. Untersuchungen zu Sprachphilosophie und Hermeneutik, Paderborn 2002, 267 Seiten (mentis).
- Gefühle und Moral. Eine philosophische Analyse. Bonner philosophische Vorträge und Studien, hg. von Wolfram Hogrebe, Bonn 2004, 45 Seiten (Bonn University Press).
- Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn (Mitautorin: Hilge Landweer), Stuttgart/Weimar 2007, 338 Seiten (Metzler).
Herausgeberschaft
- Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretation zur Dialektik, hg. von C. Demmerling und F. Kambartel, Frankfurt a. M. 1992, (Suhrkamp).
- Vernunft und Lebenspraxis. Philosophische Studien zu den Bedingungen einer rationalen Kultur. Für Friedrich Kambartel, hg. von C. Demmerling, G. Gabriel und T. Rentsch, Frankfurt a. M. 1995 (Suhrkamp).
- Die Gegenwart der Gerechtigkeit. Diskurse zwischen Recht, Philosophie und Politik, hg. von C. Demmerling und T. Rentsch, Berlin 1995 (Akademie Verlag).
- Wörterbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Band 15: Sprachphilosophie, hg. von C. Demmerling/P. Stekeler-Weithofer, Berlin/New York 2012 ff. (Teile des Bandes erscheinen seit 2012 online unter http://www.degruyter.com/view/db/wsk).
- Wahrheit, Wissen und Erkenntnis in der Literatur. Philosophische Beiträge, hg. von Christoph Demmerling und Íngrid Vendrell Ferran, Berlin 2014 (De Gruyter).
- Concepts in Thought, Action, and Emotion. New Essays, New York/London 2021 (gemeinsam mit Dirk Schröder).
- Wittgenstein and Marx on Language, Mind and Society, Mimesis International 2021 (gemeinsam mit Pietro Garofalo und Felice Cimatti) (im Erscheinen).
Aufsätze und Beiträge zur Philosophie der Gefühle
- Vernunft, Gefühl und moralische Praxis. Überlegungen zur Kultur der praktischen Vernunft, in: Ch. Demmerling, G. Gabriel, T. Rentsch (Hg.), Vernunft und Lebenspraxis. Philosophische Studien zu den Bedingungen einer rationalen Kultur. Für Friedrich Kambartel, Frankfurt a. M. 1995, 247-271.
- Das Gefühl der Scham und die Vergesellschaftung des Leibes (Kritische Replik zu Hilge Landweer: Differenzierungen im Begriff „Scham“), in: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Jg. 12 Heft 3/2001, 297-298.
- Brauchen Gefühle eine Sprache? Überlegungen zur Philosophie der Psychologie, in: H. Landweer (Hg.), Struktur und Funktion der Gefühle, Berlin 2007, 19-33.
- Gefühle als Atmosphären? Grenzen und Reichweite der neuen Phänomenologie (gemeinsam mit Anna Blume), in: H. Landweer (Hg.), Struktur und Funktion der Gefühle, Berlin 2007, 113-133.
- Hume: Natur und soziale Gestalt der Affekte (gemeinsam mit Hilge Landweer), in: Hilge Landweer/Ursula Renz (Hg.), Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, Berlin 2008, 393-412.
- Schuld, Scham und Empörung in der Moral, in: R. Esterbauer/S. Rinofner (Hg), Emotionen im Spannungsfeld von Phänomenologie und Wissenschaften. Reihe der österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie, Frankfurt a. M. u. a. 2009, 201-215.
- Philosophie der Scham, in: Alfred Schäfer/Christiane Thompson (Hg.), Scham, Paderborn 2009, 75-101.
- Gefühle, Sprache und Intersubjektivität. Überlegungen zum Atmosphärenbegriff der neuen Phänomenologie, in: K. Andermann/U. Eberlein (Hg.),Gefühle als Atmosphären. Neue Phänomenologie und philosophische Emotionstheorie, Berlin 2011, 43-55.
- Den Leib zur Sprache bringen. Überlegungen zur Leib-Körper-Unterscheidung, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 36.1 (2011), 7-25.
- Echte Gefühle oder Glück aus der Apotheke. Überlegungen zum neuro-enhancement von Emotionen, in: G. Scharifi (Hg.), Beiträge zur Neuroethik, Paderborn 2011, 113-129.
- Gründe, Gefühle, Willensschwäche. Eine philosophische Skizze, in: B. Boothe/A. Cremonini/G. Kohler (Hg.), Psychische Struktur und kollektive Praxis. Regulierung und der Raum der Gründe, Würzburg 2012, 85-101.
- Philosophie der Angst, in: Lars Koch (Hg.), Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, 31-41.
- Gefühle, Intentionalität, Leiblichkeit. Der Beitrag der Phänomenologie, in: Ingo Günzler/Karl Mertens (Hg.), Wahrnehmen, Fühlen, Handeln. Phänomenologie im Wettstreit der Methoden, Münster 2013, 147-166.
- Scham, Schuld und Empörung. Moralische Gefühle und das gute Leben, in: Cornelia Richter (Hg.), Fragile Vielfalt. Gutes Leben zwischen Glück, Vertrauen, Leid und Angst, Würzburg 2014, 115-135.
- Geteilte Gefühle. Anmerkungen zur Sozialität des Geistes, in: Karl Mertens/Jörn Müller (Hg.), Die Dimensionen des Sozialen. Neue philosophische Zugänge zu Fühlen, Wollen und Handeln, Berlin/Boston 2014, 21-39.
- Gefühle und der begriffliche Raum des menschlichen Lebens, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie (69/3), 2021, 347-364. (Übersetzung von Emotions and the Conceptual Space of Human Life, in: Christoph Demmerling/Dirk Schröder (eds.), Concepts in Thought, Action, and Emotion. New Essays, New York/London 2021, 294-308.
- Gefühle, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 2/2021, 10-19.
- Mitgefühle auf dem Prüfstand. Überlegungen zu ihren Gestalten und ihrer ethischen Relevanz, in: R. Barth/U. E. Eisen/M Fritz (Hg.), Barmherzigkeit. Das Mitgefühl im Brennpunkt von Ethik und Religion, 2021 (in Vorbereitung)