Editorial

Was dürfen wir hoffen? Immanuel Kants berühmte Frage müsste heute umformuliert werden: Dürfen wir überhaupt noch hoffen? Angesichts einer krisengeschüttelten Welt, in der sich Nachrichten über Klimakatastrophen, Kriege, zusammenbrechende Versorgungssysteme und Pandemien überbieten, scheint kein Platz mehr für jene Hoffnungen, die sich in optimistischen Erwartungen, lichtvollen Utopien und Visionen vom ewigen Frieden zeigten.

Hoffnung war immer schon ein zweischneidiges Schwert. Hoffnung ist das, was bleibt, wenn nichts mehr getan werden kann. Hoffnung ist das Eingeständnis eines Scheiterns, das nur noch auf das Unverfügbare setzen kann: auf ein Wunder. Hoffnung ist aber auch das, was uns in finsteren Zeiten aufrecht hält und an eine Zukunft glauben lässt. Hoffnung kann ein schwacher Trost für Menschen sein, die man aufgegeben hat, Hoffnung kann jedoch dem Kraftlosen den Mut zum Weiterleben ermöglichen. Hoffnung kann zur Untätigkeit verurteilen, Hoffnung kann zur Aktivität anstacheln, Hoffnung kann die Fügsamkeit befördern, sie kann den Willen zum Widerstand entfachen. Für gläubige Christen ist die Hoffnung neben dem Glauben und der Liebe sogar eine göttliche Tugend. Doch dort, wo wirklich alles verspielt ist, gilt der Imperativ, mit dem Dantes Hölle die Neuankömmlinge empfing: Lasst alle Hoffnung fahren.

Das zukunftsorientierte Leben des modernen Menschen ist grundiert von Hoffnungen, die mitunter vom frommen Wünschen kaum zu unterscheiden sind. Dass es einen Fortschritt gäbe, dass neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz eine bessere Welt ermöglichen werden, dass die Klimaziele erreicht werden können, dass soziale Ungleichheiten beseitigt, gerechtere Verhältnisse geschaffen sowie Rassismus und Sexismus besiegt, unheilbare Krankheiten dank des medizinischen Fortschritt eliminiert werden und die Lebenserwartung des Menschen steigt, bis zur Unsterblichkeit – all das sind angesichts der Wirklichkeit mehr oder weniger vage Hoffnungen auch dann, wenn sie sich im Gewand der wissenschaftlichen Prognose zeigen.

Konterkariert werden diese Hoffnungen von dystopischen Ängsten. Es gibt in manchen Religionen die paradoxe Hoffnung auf den Weltuntergang, auf die Apokalypse. Oft wird diese jedoch beschworen in der Hoffnung, dass drastische Warnungen und Aufrufe zur Umkehr im letzten Moment das Schlimmste noch verhindern können. Wie begründet unsere Hoffnungen sind oder ob sie uns in die Irre leiten und zu einem falschen, getrübten Blick auf die Welt führen, ist Gegenstand heftiger Debatten. Es kann auch fatal sein, sich falsche Hoffnungen zu machen und dann mit der Enttäuschung weiterleben zu müssen. Frustration und Wut sind die Folge.

Alles wird gut. Ob dieser Satz seine Berechtigung hat oder ironisch verstanden werden muss – darüber werden beim 26. Philosophicum Lech Vortragende aus Philosophie, Sozial- und Kulturwissenschaften und benachbarten Disziplinen referieren und mit dem Publikum diskutieren.

Konrad Paul Liessmann, wissenschaftlicher Leiter Philosophicum Lech